Und dann war da noch die Frau, …die für ihren Mann anrief. „Helfen Sie auch Menschen, die sich nicht trennen wollen?“, fragte sie zunächst. „Natürlich“, sagte ich, „mir geht es nicht darum, Beziehungen zu beenden. Ich unterstütze Menschen dabei, Probleme zu lösen, bei Bedarf Veränderungen anzugehen und sich vor allem klarzuwerden, was sie möchten.“ Das kann eine Trennung sein, muss es aber nicht.
„Ja, das sei genau das, was sie suche“, sagte die Frau, worauf ich sie bat, ein wenig über sich und ihre Beziehung zu erzählen. „Nein, da haben sie etwas falsch verstanden“, wendete sie ein, „es geht hier gar nicht um mich. Ich rufe für meinen Mann an. Der muss sich ändern. Bringen Sie den bitte mal auf Spur!“
"Mein Mann hat sich verändert"
So funktioniert Coaching aber nicht. Die Gespräche mit dem Coach sollen die Klientin oder den Klienten in die Lage versetzen, eigene Ressourcen zu aktivieren, um den Knoten im Leben zu lösen. Alles basiert auf Freiwilligkeit, ähnlich wie bei einer Hypnosesitzung oder einer Mediation. Zumal man einen Menschen nicht ändern kann, zumindest nicht nachhaltig, wenn dieser nicht möchte.
„Mein Mann hat sich aber verändert“, erklärte mir die Frau. „Er war nicht immer so. Er war aufmerksam, liebevoll und wollte Zeit mit mir verbringen. Heute arbeitet er nur noch oder ist mit seinem Rennrad unterwegs. Das ist doch keine Beziehung.“ Sie komme aber nicht an ihn ran. „Wenn ich etwas sage, streiten wir nur noch. Ich will den Tobias von früher zurück.“
Für die Frau hat es eine Zeit gegeben, in der ihr ICH mit Tobias‘ DU weitgehend übereinanderlag und ein WIR entstanden ist. Das Leben - und damit auch eine Beziehung - ist jedoch nicht statisch. Dort wo etwas zusammengewachsen ist, kann es sich auch wieder trennen. Zumal wir über die Jahre vielleicht zu jemand wurden, der oder die wir nicht sind, der oder die vielleicht an einem Ort wohnt, an dem wir nicht sein wollen oder etwas tun, was uns keinen Spaß macht. Und das ist normal.
Einen gemeinsamen Weg finden
Das bedeutet aber nicht zwangsläufig die Trennung. Meine Vorstellung von einer Partnerschaft ist die zweier in sich selbst ruhender Menschen, die ihren Weg teilen, ohne sich selbst zu verleugnen. Das bedeutet: Ich bin ich, und du bist du. Das bedeutet aber auch, dass wir nicht seine/ihre Erlaubnis brauchen, um zu sein, wer wir sind. Darum geht es und darüber muss man reden. Immer wieder. Paare, die das schaffen, haben beste Chancen, den Weg gemeinsam fortzusetzen, auch wenn sie sich mal aus den Augen verlieren und der eine mal schneller oder langsamer unterwegs ist.
Ich sagte ihr, dass ich sie verstünde, dass ich aber genauso wenig Tobias wieder „auf Spur“ bringen könne. „Verändern kann nur er sich, wenn er das möchte. Ich hätte aber einen anderen Vorschlag: Wie wäre es, wenn wir mal über sie sprechen und was sie von ihrem Leben und ihrer Beziehung erwarten?“ Die Frau ließ mich gar nicht aussprechen. „Das Problem liegt bei meinem Mann!“, sagte sie und schlug vor: „Ich könnte ihm doch sagen, dass sie mal mit ihm reden möchten.“ Worauf ich ihr sagte, dass ich gerne mit ihm rede, wenn er das wolle. „Er wird sich bei ihnen melden“, meinte die Frau und legte auf.
Tatsächlich hatte ich am nächsten Tag Tobias am Telefon. Er solle sich bei mir melden, blaffte er. Worauf ich sagte, dass das so nicht stimme. „Ich rede gerne mit Ihnen, wenn sie das möchten. Sonst macht so ein Gespräch oder ein Coaching keinen Sinn.“ Es war zu hören, dass Tobias erleichtert war. „Ich habe keinen Bedarf. Ich will meine Frau auch gar nicht verlassen“, meinte er, „aber sie geht derzeit durch eine schwere Phase.“ Die Zwillingstöchter der beiden waren vor kurzem zum Studieren in die nächste Stadt gezogen. Während er die freie Zeit genieße und sich ein neues Rennrad gekauft habe, blase seine Frau Trübsal. „Ich sage ihr immer wieder, sie soll sich auch ein Hobby suchen. Das will sie aber nicht und hängt mir stattdessen ständig am Rockzipfel. Wenn das so weitergeht, überlege ich es mir vielleicht doch noch mit einer Trennung.“
Sich selbst besser verstehen
Tobias schob schnell hinterher, er meine das nicht so. Er liebe seine Frau. Früher sei sie aber so eigenständig gewesen. Dafür habe er sie bewundert. Durch die Kinder habe sie diesen Wesenszug aber völlig verloren. „Für sie zählt seitdem nur noch die Familie. Das ist so schade. Ich würde ihr gerne dabei helfen, sich wieder selbst mehr in den Mittelpunkt zu stellen.“
Nachdem Tobias und ich unser Gespräch beendet hatten, dauerte es nicht lange bis seine Frau am Telefon war. Sie habe alles aus dem Nebenraum gehört. „Es stimmt, seit die Kinder weg sind, bin ich in ein Loch gefallen. Ich weiß zwar nicht, ob das etwas bringt, aber ich würde doch gerne auf ihren Vorschlag eingehen und mich mal mit mir und meinem Leben beschäftigen.“
Das haben wir dann getan. Martina, so heißt die Frau, hat im Coaching versucht, sich besser zu verstehen, ihre Gefühle, Gedanken, Wünsche und Werte. Wir haben über Enttäuschungen und Verletzungen gesprochen, aber auch über die vielen zurückliegenden schönen Stunden und Tage. Und wir haben versucht zu klären, wie für Martina künftig ein glückliches und sinnvolles Leben aussehen kann.
Was ist mein Standort?
Bevor ich einen neuen Weg einschlage, sollte ich wissen, wo ich gerade stehe und wo ich herkomme. Meine Klientinnen und Klienten bekommen daher als Hausaufgabe einige Sätze mit, die sie aus dem Bauch heraus schriftlich beantworten sollen und die wir dann besprechen.
Die Sätze lauten beispielsweise:
- Wenn ich jetzt Verantwortung für mein Leben übernehme, muss ich …
- In meinem Leben vermisse ich …
- Eine der Sachen, die andere Menschen über mich nicht verstehen, ist….
- Eine der Sachen, die ich über andere Menschen nicht verstehe, ist….
- Ich könnte mir eigentlich viel mehr vertrauen, denn…
- Wenn ich mehr auf mich achten würde, müsste ich mir eingestehen, dass …
- Ich bin wichtig, weil …
- Ich habe mir selbst nie verziehen, dass …
- Wenn ich mehr auf meine Wünsche achten würde, müsste ich mir eingestehen…
- Mein Leben auszukosten bedeutet für mich, …
- Mir ist durch die vorangegangenen Antworten bewusst geworden, dass…